Dienstag, 13. September 2011

Lesetagebuch. Teil 1. Im Schäferwäldchen.

Teil 1: Im Schäferwäldchen

Der Roman sollte freitags kommen und ich hatte mich donnerstags schon daran gemacht, eine kleine Premierenfeier zu organisieren. In meiner eigentlichen Heimat Hassloch, was in sich schon einen Widerspruch darstellte. Doch wie jeder junge Schriftsteller sah ich mich auch schon mit geteilten Gefühlen und einem Karton voller Bücher dem Ort meiner Kindheit nähern.



Letztlich war es dann eine ausgesprochene Hochstimmung, die mich trug, nicht zuletzt geschuldet der halben Flasche Vodka, die Max und ich tranken, während ich die ersten Vorbestellungen signierte und nachdem wir die drei Kartons mit den ersten einhundert Exemplaren der Abenteuer des Walter X in mein Studentenzimmer geschleppt hatten. Auf dem Weg zurück zum Auto entdeckte ich eine zur Zweidimensionalität zertretene Heuschrecke auf dem Boden und zog kurz in Erwägung, sie als Lesezeichen für einen der ersten Käufer in einem Buch zu hinterlegen, doch die extra für diesen Zweck ausgeschnittenen Baseballkarten schienen Überraschung genug zu sein.


Die Feierlichkeiten sollten bei Familie Schwab zuhause stattfinden, einem kleinen Haus mit Pflasterhof inmitten des Großdorfs, dessen Bewohner auf die beiden Brüder Eugen und Viktor reduziert waren, was auch der Grund gewesen war, mir die Erlaubnis auszusprechen, dort lesen zu dürfen. Der Vater der beiden hatte an diesem Tag Geburtstag und die Eltern hatten angekündigt, über Nacht weg zu sein. Weg waren sie dann auch, als ich nach einer wackeligen Fahrt mit Fahrrad, Buchkarton und Daniel gegen halb Acht dort eintraf, die Essensvorbereitungen begutachtete und mir einen Kaffee baute.

 
Es gab selbstgemachte Pizza und ich trank den Kaffee nur mit Milch. Lucy öffnete den Karton mit den ersten fünfundzwanzig Büchern mit einem Korkenzieher, der vorher eine Literflasche Rotwein entkorkt hatte und dessen Griff aus einer künstlich verschlungenen Wurzel bestand. Ich beschloss, noch keine Exemplare des Romans vor der Lesung herauszugeben, ganz meinen Erfahrungen aus zahlreichen Referaten vertrauend, und da das Wetter gut war, beschlossen wir, den Hauptteil des Abends unter das Vordach des Hofs zu verlagern. Philipp kam mit einem Kanister neuen Weins, dem ersten für dieses Jahr, und nach und nach trafen die Leute ein, wie auch das Ehepaar Schwab. Als Eugen gerade das zweite Wasserglas Vodka leeren wollte, den Boomblaster mit elektronischer Musik gefüttert hatte und ich mir Gedanken machte, welche Stellen des Romans ich präsentieren könnte, kam seine Mutter mit einem Sack Äpfel und etwas überraschter Miene um die Ecke. 

  
Einer kurzen Aussprache mit ihren Söhnen im inneren des Hauses folgte ihre Frage an mich, ob sie denn der Lesung beiwohnen dürfe, was ich natürlich bejahte, wenn auch eingestand, dass es mich zwar ehren, aber auch etwas nervöser machen würde. Denn die angedachte Zuhörerschaft aus ausnahmslos jüngeren, mehr oder weniger guten Freunden war nun durch zwei Menschen erweitert worden, denen ich größten Respekt entgegenbrachte, da ich ihre Söhne kannte und sie einen maßgeblichen Anteil daran hatten, dass ich mich mit der russischen Literatur auseinandergesetzt und angefreundet hatte. Ich wählte Rolf und seine Flasche Wein als Sitznachbar und schickte mich an, die Lesung gegen 21 Uhr zu beginnen, nachdem klar war, dass mein Verlagspartner an diesem Abend wohl nicht mehr erscheinen würde, da er schon andere Termine hatte.

 
Einer etwas überhastet vorgebrachten Einleitung über die gegebenen Umstände sowie die Art des Romans, folgte das erste Kapitel des Hauptteils. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob dieser Einstieg, da recht langatmig und handlungsarm, richtig war, doch ein paar Rückfragen in Trinkpausen gaben mir mehr Sicherheit und so las ich mich auch guter Dinge durch die mehrseitige Stelle an der ich das den Roman durchziehende Metaphernkonzept entwerfe. Der einzige etwas unsichere Moment entstand, als mich Eugen bat, seinen Eltern den Begriff „stoned“ zu erklären, doch ich warf ihm den Ball zurück und er tat es in seiner betrunkenen Selbstverständlichkeit dann ausschweifend.

Da der Protagonist im ersten Kapitel auf den Tanzenden Indianer trifft schien es mir eine gute Idee zu sein, im Anschluss von dessen legendärem Tanzwettbewerb mit Eugen Borsz dem Bären zu berichten. Doch hielt ich es für sinnvoll, den Zuhörern zumindest einen Hauch der Tragik dieses Charakters zu vermitteln und las das vierte Kapitel von Beginn an, was ich sofort reute, als die Sprache auf Carlos den Zwerg kam, dem Antagonisten des Romans, dessen Vorstellung ich übersprungen hatte.

Ich improvisierte und übersprang diesen Paragraphen ebenfalls, gab eine kurze Zusammenfassung der relevanten Geschehnisse und las die Episode des Tanzenden Indianers zu Ende, brach ab, als Pedros Schilderung des Abends endet und ließ mich in eine kurze Unterhaltung über die Bedeutung der Märtyrerfigur und des Nachnamens von Eugen Borsz ein. Borschtsch ist ein russisches Suppengericht, das konnte ich dem Vater von Eugen und Viktor beantworten als er mich leise danach fragte, doch erfuhr ich erst am nächsten Tag, dass er eigentlich Geburtstag hatte.


Als Abschluss begann ich noch mit der Szene, in der Walter X Selbstjustiz übt. Der Ausdruck „gürten“ stieß auf großes Wohlwollen, die explizite Gewaltdarstellung, vor der ich im Vorfeld gewarnt hatte, bekam wenig Reaktionen, erntete sogar Gelächter, was ich nicht so recht zuordnen konnte und so brach ich nach Walters zweitem Todesopfer ab, nicht einmal unzufrieden. Ich verkaufte ein halbes Dutzend Bücher und signierte alle, lies mich in eine kurze Unterhaltung mit Frau Schwab ein, die mir ihre Hochachtung aussprach und mich fragte, wie ich darauf kommen würde solche Dinge zu schreiben. Was mich etwas verwirrte, da ich einen leichten Tadel hinter ihren Worten vermutete, doch sie winkte ab und bat mich, ihr auch ein Exemplar zu signieren. Bob wollte mir den doppelten Verkaufspreis für mein Leseexemplar geben, da es für ihn emotionalen Wert hatte. Ich überlies es ihm ohne mich auf einen Preis festzulegen, jedoch mit dem Versprechen, ihn am nächsten Tag umgehend zu kontaktieren, damit er mit mir ausgiebig über das eben Vorgelesene sprechen könne.

Andreas erschien kurz darauf etwas verwirrt. Er hatte verschlafen und wir machten uns gegen halb Elf auf den Weg nach Mannheim, wo die eigentliche Aftershowparty stattfinden sollte. Ich nahm noch fünf Bücher in meinem Rucksack mit und bekam sie auch durch die Sicherheitskontrolle des rude7, Regina verkaufte zwei davon an Besucher.

Einen Dank an dieser Stelle an DJ Pinju für das Auto mit dem wir die Buchkartons holen konnten, an Familie Schwab für die Gastfreundschaft und die Örtlichkeit, an die Kochtruppe für die Verpflegung, an Regina für die Verkaufstaktiken und natürlich an jeden, der an diesem Abend da war, mich von seinem Wein trinken ließ und sich eines der ersten Exemplare gesichert hat.

3 Kommentare:

  1. hahaha nach gefühlten hunderttausend Jahren erfahre ich das Viktor und Eugen Brüder sind? Wahnsinn. Gezeichnet: jemand von auswärts.

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  2. Bitte was? Gib dich zu erkennen, du Ignoramus.

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  3. hahaha die kommentare sind zu geil

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