Dienstag, 20. September 2011

Lesetagebuch. Teil 2. Im Westen viel Neues.

Teil 2: Im Westen viel Neues

Die für den Samstag angesetzte Wohnzimmerlesung in Karlsruhe musste krankheitsbedingt entfallen. Wie das klingt, doch mein Husten ließ mich keine zwei Sätze am Stück sprechen, geschweige denn lesen. Doch ich traf auf Verständnis und vereinbarte für Montag, eine alte Freundin in Saarbrücken zu besuchen. Wie das wieder klingt, aber nun ja, wir hatten uns fast zwei Jahre lang nicht gesehen. Saarbrücken war weiter weg als gedacht, zweieinhalb Stunden Zugfahrt von Heidelberg aus, aber Daniel erbot sich wieder einmal als treuer Fahrer. Abfahrt 19 Uhr und nachdem jegliche Rekrutierungsversuche von Mitfahrern gescheitert waren, stand fest, dass wir das Benzingeld dritteln müssen, denn Max schloss sich uns noch an und eine Finanzierung aus der Verlagskasse war utopisch. Abfahrtszeit auf 18:30 vorverlegt, denn der Routenplaner sprach von 120 Kilometern. 



 
Drei Kumpanen mit zwei Brot&Kunst-Shirts in einem geschrubbten ehemals roten Opel Astra. Hundehaare, Bier, Bücher und ein steter Westkurs in die untergehende Sonne, wenig Verkehr, die Aussicht meist durch dichte Tannenwälder begrenzt. Harte Breakbeats und nach Ende der beiden Bierdosen eine halbe Flasche Rotwein als Wegzehrung, bot sich uns kurz nach 20 Uhr Saarbrücken dar. Sehr kirchturmlastig, viele Einbahnstraßen, leichte Schwierigkeiten beim Einparken nach hinten links, aber geduldig geblieben, auch in Sachen austreten. Es musste dennoch ein Hinterhof herhalten, semi-drunken-styles an einem Montagabend und wir fanden die uns bezeichnete Adresse nach kurzem Suchen neben einer fast leeren Bar.


Im Hausflur leere Bierkästen und die gestapelte Außenbestuhlung der Bar, denn es ist fast Herbst, die Nächte nicht mehr so warm, doch der Empfang durch Katharina und Katharina umso wärmer. Beide lehren an der Universität, die eine in Saarbrücken Sprechwissenschaften, die andere in Landau Literaturwissenschaften. Die kleine Küche war zum Abendessen gerichtet, vier Flaschen Rotwein auf dem Fensterbrett, ein Dutzend Teelichter auf der Erdbeertischdecke und ein Käsegemüseauflauf im Backofen. Es wurde für sechs Personen aufgedeckt, eine der beiden Mitbewohnerinnen wollte sich noch zu uns gesellen. Darüber hinaus hätte der Raum kaum Platz für mehr Personen geboten, es wollte auch nur noch ein gewisser Michael König, echter Saarländer, vorbeischauen. Ich hatte eine Packung Hustenbonbons in Reichweite am Kopfende des Tisches liegen, Sarah kam herein, quirlige Blondine aus der Nähe von Münster, die in Saarbrücken Sport studiert. Nur Sport. Sie trank als einzige Weizenbier und wir aßen erst einmal.


Voller Tatendrang erbot ich mich, den Abwasch zu machen, währenddessen traf der letzte Gast ein, ebenfalls Sportstudent. Er korrigierte das Bild, das ich von männlichen Sportstudenten habe, beträchtlich, war sehr ruhig und unglaublich interessiert. Ich sprach ihn immer mit Vor- und Zunamen an, denn das wirkte so schön klassisch, doch nannte ich ihn manchmal Martin. Nach einer kurzen Raucherpause im winzigen Wohnzimmer nebenan, schickte ich mich an, mit dem Lesen zu beginnen.


Überraschenderweise hatten Sarah und Michael König in ihrem Studium schon einmal Baseball gespielt, was mir einigen selbst auferlegten Druck vom Gewissen nahm, denn ich hatte nun weniger das Gefühl, mich für den Stoff des Romans rechtfertigen zu müssen. Ich trank mein zweites Glas Rotwein, schob mir ein WICK in den Mund und begann nach kurzer Vorrede mit dem ersten Kapitel, musste jedoch nach nicht einmal einer Seite erkennen, dass das Hustenbonbon meine Speichelproduktion unangenehm verstärkte, ich kaum noch mit dem Schlucken nachkam, und so zerkaute ich es und las weiter. Der Wein legte mir ein zusätzliches Handicap auf, denn er verwischte Wörter, machte mir meine eigenen Satzstrukturen unverständlich und ließ mich zeilenweise sogar lallen, was aber niemandem außer mir aufzufallen schien.


Die zweite Raucherpause kam sehr gelegen, denn sie gab mir die Möglichkeit, etwas frische Luft am Fenster zu schnappen und mich bei ein bisschen Smalltalk mit der zweiten Katharina etwas zu akklimatisieren. Meine Vorliebe für unübliche Ausdrücke fand Erwähnung, sie belächelte leicht die häufige Verwendung des Hilfsverbs „mochte“, doch schien ansonsten von dem, was ich bisher vorgetragen hatte, angetan zu sein. Max gesellte sich hinzu und rauchte mit.


Die Lesung wurde fortgesetzt und ich fand mich etwas besser in den Roman hinein, ließ mir von Daniel Wein nachschenken und ihn die Sprechparts von Pedro lesen, was überraschend gut kam, obwohl es abenteuerlich improvisiert war. Ich hatte aus der letzten Lesung gelernt und übersprang das zweite Kapitel nicht, las es komplett fertig und danach das Dritte gleich dazu. Als ich hierzu zum ersten Mal das einleitende Zitat las, zeigte sich Michael König sehr interessiert und forderte mich auf, auch die Zitate der ersten beiden Kapitel noch nachzutragen, was ich natürlich tat. Obwohl das Cappadonna-Zitat am Anfang des dritten Tages in direktem Zusammenhang mit Walters Frauengeschichte stand, seinen Scheideweg und die damit einhergehende Entscheidung betraf, ließ ich diese Episode aus, denn ich hatte das Gefühl, der Dynamik, die die Geschichte und mein Vortrag aufgenommen hatten, dadurch Abbruch zu tun. Wir legten eine letzte Raucherpause ein, Max kam dazu und zog zwei Mal an meiner Zigarette, ging dann wieder in die Küche.

 
Ich unterhielt mich wieder mit der zweiten Katharina, als ihre Namensvetterin hereinkam und mir mitteilte, dass Max der denkbar schlechteste Pressesprecher sei, auf Michael Königs Fragen nach dem Werdegang des Verlags nur noch einsilbig antworte und gerade mit dem Kopf auf dem Tisch liege. Ich überzeugte mich von diesem Bild der Verwüstung und wir schafften es mit vereinten Kräften und einer Tasse Tee ihn wieder ein wenig aufzupäppeln, sodass er nach kurzem Toilettenbesuch das vierte Kapitel aufrecht verfolgen konnte.


Ich hatte eigentlich vor, danach direkt mit dem nächsten Kapitel weiterzumachen, die Zuhörerschaft war nicht abgeneigt, doch Daniel merkte an, dass ich lieber Bücher verkaufen solle als den Roman ganz vorzulesen, womit er irgendwie recht hatte. Ich verkaufte fünf Bücher an drei Menschen und signierte alle. Drei davon an Anwesende, die anderen beiden an die Eltern der Katharinas. Danach erfuhr ich, dass Sarah seit fast zwei Jahrzehnten Fußball spielt, doch es fand sich kein Ball in der ganzen Wohnung und der von Daniel lag nicht im Auto, sondern bei meinen Eltern im Garten. Wir verschoben die Session auf Mitte Oktober und ich wich geschickt den aus allen Ecken der Wohnung auftauchenden Schnapsflaschen aus.

 
Das Angebot, in Saarbrücken zu nächtigen, lehnten wir ab und gegen 2 Uhr machten wir uns auf die Heimreise. Ich versuchte auf dem Beifahrersitz nicht einzuschlafen, doch der Wein forderte sein Tribut und ich bekam nur die eine Hälfte der knapp zweistündigen Fahrt mit. Um kurz vor halb Fünf setzte mich Daniel vor der Haustür ab.

Ein Dankeschön an die Gastgeberin für den warmen Empfang, den Wein und das Abendessen. An die Zuhörerschaft für das gute Zuhören. An Max für den Teamgeist und natürlich an Daniel, für das Auto und seine Dienste als Fahrer, denn ohne ihn wäre die Lesung schwerlich in dieser Form zustande gekommen. 



Und als Bonus für die Leserschaft des Blogs hier gibt es anbei noch ein kleines Lesevideo, inklusive bedeutungsschwerer Pausen und dem Portwein-Break:

3 Kommentare:

  1. starke Kameraführung à la Golum auf der Suche nach dem goldenen Ring

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  2. Ich liebe diese Berichte von vergangenen Abenden. Rotwein für alle und vor allem für den Autor.

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  3. Das Lesetagebuch gefällt mir weitaus besser wie die anderen Texte auf dem Blog teilweise (Gedichte, etc.). Irgendwie wirken sie "lockerer" und nicht immer so extrem steif. Sie sind immer so herrlich witzig geschrieben - auch für die kleinen Leute :-)! LG Aline

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