Freitag, 18. Januar 2013

Walter X Lesetourtagebuch - Tag 1

Das allseits beliebte Tourtagebuch geht in eine neue Runde. Nach der epischen Wohnzimmerlesetour Ende Dezember, quasi der Generalprobe für den neuen Roman, stand die erste rein öffentliche Lesung im A&S BÜCHERLAND am 13. Januar 2013 an.


Ich realisiere jetzt, dass ich vielleicht lieber der Wohnzimmerlesetour einen Tagebucheintrag hätte widmen sollen, aber dafür ist es jetzt wohl zu spät, die Chronik drängt mich voran. Nun denn, es herrschte leichter Schneefall in der Fächerstadt und es dämmerte bereits, als ich Sonntagnachmittag dorthin zurückkehrte. Es gab noch einige Dinge vorauszuplanen, unter anderem, was ich überhaupt lesen würde an diesem Abend. 

Der Roman fasst 268 Seiten und obwohl ich bei der Wohnzimmerlesetour nicht, wie geplant, das komplette Buch gelesen hatte, so dauerte es dennoch knapp 4 Stunden (inklusive Pausen), um knapp 200 Seiten zu lesen. Das stand also außer Frage und ich beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen und fortan auf jeder Lesung eine andere "Version" des Romans zu präsentieren. Soll heißen, dass wohl überlegt ausgewählte Textstellen je nachdem dem Zuhörer den Eindruck vermitteln sollen, dass es sich um einen klassischen Entwicklungsroman handelt, um ein Buch über Baseball, um einen Detektivroman und so weiter. Dadurch sollte gegeben sein, dass erstens, potentielle Zuhörer auch den Anreiz haben, noch zu einem anderen der vielen Lesetermine in Karlsruhe zu kommen und zweitens (weitaus wichtiger), dass mir die Vorleserei nicht nach dem dritten Termin schon überdrüssig ist, da ich immer das Gleiche lese. Soweit zur Theorie, in der Praxis sah das Ganze dann so aus:



Es galt an diesem Abend also 47 Seiten zu lesen, wofür ich eine knappe Stunde inklusive großzügiger Pausen berechnet hatte. Um kurz vor halb Sieben brachen die Mädchen und ich auf und ich fuhr das Auto genau bis zur Tankstelle um die Ecke, wo ich mir zwei Dosen Bier kaufte und noch einen Schokoriegel, da dort eine EC-Kartenzahlung erst ab 5 EUR akzeptiert wird. Ich hatte mich für Kit Kat Crunchy entschieden, aber es gab drei Sorten davon zur Auswahl, was mich sofort maßlos überforderte. Ich entschied mich schließlich für die einzige davon mit weißer Schokolade, nicht wissend, dass irgendeine Beerenfruchtart in die Füllung eingearbeitet war, aber ich kann diesen Schokoriegel definitiv weiterempfehlen. Dosenbiertrinkend navigierte ich Kerstin dann nach Rintheim bzw. versäumte es, in ihrem Navi zu hinterfragen, ob die Rintheimer Hauptstraße der Rintheimer Straße entspricht, was natürlich nicht der Fall ist, so dass wir uns in dörflicher Tristesse wiederfanden, statt vor einem ehemaligen Supermarkt inmitten des sozialen Brennpunkts der Oststadt. Zehn Minuten später waren wir dann zurück in der Oststadt und ein erster südeuropäischer Jugendlicher passierte uns scheu vor dem schwach leuchtenden Eingang des A&S BÜCHERLANDES.


Das Plakat der Lesetour hing direkt neben der Eingangstür, wie es sein soll, und die Veranstaltungslisten des Ladens führten diesen Abend auch brav mit sich:



Ich hatte die halbvolle zweite Bierdose noch in der Hand, links, und begrüßte mit rechts den Aushilfstypen im A&S BÜCHERLAND, der uns schon bei unserer Anfrage vor über einem Monat wenig kompetent aber immerhin nicht unfreundlich weiterzuhelfen versuchte. Mittlerweile war es dreiviertel Sieben und um Sieben sollte der Abend beginnen und es war noch niemand da, abgesehen von uns vier Menschen, die da etwas hilflos in den halbdunklen Hallen herumstanden. Wir gingen in den hinteren Teil des Ladens, knapp einhundert Meter entlang zumeist gebrauchter Taschenbücher, die die Wände säumten und in hohen Stapeln auf Tischen herumlagen (da lag KAFKAs "Die Verwandlung" über KAFKAs "Die Verwandlung" über KAFKAs "Das Urteil") und standen dann irgendwann vor einem kleinen, von Bücher freigeräumten Tischchen. Das Tischchen selbst stand vor der hinteren, gefließten Wand, die wohl einst eine Metzgerei oder Käsetheke beherbergt hatte, die Erinnerungen des Mitarbeiters und eines mittlerweile eingetroffenen einsamen Gasts waren verschieden. Um das Tischchen herum standen schöne alte teilweise Ohrensessel, im Hintergrund zwei Sofas in dieser Art. Eine Stehlampe daneben spendete wenig Licht und die Tischlampe darauf reichte vollkommen zum Lesen. Insgesamt war Platz für knapp zwanzig Sitzende und wir holten zusammen noch ein Dutzend Polsterstühle aus einem Nebenraum. Ich beschreibe das so ausführlich, da ich es natürlich versäumt hatte, Fotos dieser kleinen Sitzgruppe zu machen. Vom Leseplatz aus bot sich mir folgendes Bild: 

(wir sehen Bücherwände, den Fuß von Ricardo, meine mich managende Mitbewohnerin 
Jasmin, die liebe Kerstin, den Tisch, eine Dose Bier, den Fuß der Tischlampe und 
im Hintergrund stapelweise Taschenbücher)


Wie das Bild schon vorwegnimmt war RICARDO VERA mittlerweile in Begleitung eines älteren Bekannten eingetroffen. AARON SCHMITT kam kurze Zeit später mit dem Fahrrad, dann kam noch ein zweiter Mitarbeiter des Ladens und dann geschah lange Zeit gar nichts mehr. Die Stille war schwer erträglich und nachdem einer der Mitarbeiter etwas Musik angeschaltet hatte, verstärkten die Klänge der Wagner-Oper mein Gefühl des inneren Dramas nur noch mehr. Denn wir waren insgesamt 9 Personen in diesem Raum, von denen 3 Vortragende waren, 3 deren "Angehörige", 2 waren Mitarbeiter, also in erster Linie berufswegen hier, und 1 Person war (hoffentlich) aus freiem Willen, wie auch Interesse gekommen. Das war wohl in etwa der schlechteste Start in den Annalen der Lesetourgeschichte (wobei ich gehört habe, dass sich selbst KAFKA damals ziemlich den Leuten aufdrängen musste, um seine Geschichten vorzulesen, aber der ist mittlerweile auch tot).

Ich beschloss das Leiden nicht länger hinauszuzögern, ein guter Vorschlag Aarons, und begann den Abend mit einer kurzen Vorstellung des Verlags und der Lesenden. AARON SCHMITT machte dann den Anfang und rezitierte einen großartigen Text frei stehend. 

(seht die vielen freien Stühle und das traurig hängende Banner)


Danach las er noch einen kürzeren Prosatext aus einem Notizheft vor, um dann die metaphorische Bühne für RICARDO VERA zu räumen. Dieser stellte einige Texte aus seiner neuen Lyrikanthologie "Darksides of Life", zuerst auf Spanisch, dann auf Deutsch vor. Gleicher Text, verschiedene Sprachen, komplett unterschiedliche Wirkung von der emotionalen flüssigen Muttersprache hin zur klinisch stockenden Fremdsprache. Ein Bild anbei: 



Im Anschluss gab es eine kurze Pause, die den wenigen Anwesenden wohl ziemlich überflüssig schien, die ich aber dennoch für mich beanspruchte, um das eben Gehörte ein wenig setzen zu lassen und mir bei einer letzten Zigarette einen klaren Kopf zu schaffen. Dann las ich aus meinem Roman vor und sah davon ab, mich dabei selbst zu fotografieren. Ich brauchte dafür wohl knapp 45 Minuten, es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Abschließend gab es noch eine kleine Unterhaltungsrunde, die durch Ricardos Bekannten sehr interessant gestaltet wurde. Der einzelne Zuhörer erwähnte noch, dass er durch die Lesebühne im BENTO auf uns aufmerksam geworden war und bei der nächsten Lesung auch wieder anwesend sein werde. Er meinte noch scherzend, dass er auf diese Weise den ganzen Roman zu hören bekommen könnte und ich entgegnete ebenfalls scherzend, dass ich das Ende definitiv nicht vorlesen werde, dann kaufte er ernsthaft kein Buch, so dass wir an diesem Abend kein Buch verkauft und drei davon auf Kommission in einem Taschenbuchantiquariat zurückgelassen hatten.

Highlight des Abends für mich war dann dieses schöne 3-EUR-Hardcoverbuch:


Großartig, nicht? Der Angestellte des A&S BÜCHERLANDES erließ uns dann sogar die 20 EUR Mietgebühr für den Abend oder vergaß es abzurechnen, im Endeffekt war es mir egal und wir verabschiedeten uns, kamen gegen dreiviertel Zehn wieder im Brot&Kunst-Hauptquartier an, wo ich überrascht ein Verkehrsschild entdeckte--


--aber wahrscheinlich hat Jasmin den Aufkleber angebracht, um mir eine kleine Freude zu bereiten. Immerhin etwas und wir sehen uns nächsten Sonntag im AKK wieder (wenn zwei Leute kommen, dann hätte sich der Besucherandrang VERDOPPELT, was zumindest geschrieben sehr beeindruckend wirkt). Der Flyer noch anbei:




Shoutouts gehen raus an die Mädchen, 
die mich unterstützen und für mich kochen, 
an die Kumpanen Ricardo und Aaron, 
an das Team vom A&S BÜCHERLAND, 
an den einzelnen Zuhörer 
und an die Assel(n).

1 Kommentar:

  1. Herrlich - sehr witzig geschrieben! Besonders der Sarkasmus am Ende ("wenn zwei Leute kommen, dann hätte sich der Besucherandrang VERDOPPELT...")gefällt mir natürlich sehr! :-) Bin gespannt auf die nächsten Berichte und hoffe für Euch, auf mehr Besucher bei Eurem nächsten Leseabend!

    LG A.

    AntwortenLöschen