Teil 4: Direkt an der Bar in Heidelberg.
Als ich eines Mittwochabends noch nicht nach Hause gehen wollte, fand ich mich zu vorgerückter Stunde in dieser kleinen Bar in der Altstadt. Sie war mir bei meinen vielen Fußwegen von und zu den Universitätsseminaren immer nur durch das selbstgemalte Schild an der Hausfassade aufgefallen, darauf eine schöne Orange mit gleichem Namen darunter.
Der Laden hatte etwas von einem Wohnzimmer, wirkte verlebt aber gemütlich. An den Wänden Kugelschreiberporträts des Wirtes und wohl einiger Stammgäste, auf den Fensterbänken Spielesammlungen, der Raum gefüllt von einem Sammelsurium an Tischchen mit keinen drei gleichen Stühlen. Es lief Jazz und das Publikum reichte von Studenten über Hausfrauen bis hin zu gesetzten Herren. Ich fühlte mich wohl und es kam, wie genau weiß ich gar nicht mehr, die Rede darauf, hier doch mal eine Lesung zu veranstalten. Usama, der Wirt, strahlte Zuversicht aus und da ich mich bisher immer in Erahnung einer verkopften, überkritischen Zuhörerschaft davor gescheut hatte, etwas Derartiges hier zu machen, da meine Versuche, mich in die Lesezirkel der Universitätsstadt Heidelberg zu integrieren, meist halbherzig und zum Scheitern verurteilt gewesen waren, beschloss ich, es doch einmal zu versuchen.
Mittwoch, der 12. Oktober, kurz vor Sechs im Stadtbus und ich war noch nüchtern, Johanna schon aufgeregt. Wir belächelten die Mädchen, die ihre fehlenden Regenschirme beklagten und trotzten dem Nieselregen, während wir den leeren Universitätsplatz querten. Die Bar war noch leer, zwei Jacken über den vier Hockern am Tresen, ein Herr mit grauen Haaren und Bier an einem Einzeltisch, ein Mädchen mit Bionade an einem anderen. Usama wischte den Boden, wir richteten uns in der Ecke des Tresens ein. Ein kleines, an der Wand befestigtes Tischchen mit einer alten Schirmlampe darüber schien mir der perfekte Leseort zu sein. Ich stellte mein erstes Krusovic des Abends dort ab und harrte zusammen mit Johanna und Max der Dinge, die da kommen sollten.
Als erstes kam Daniel. Und zwar ohne Brot&Kunst-Shirt. Denn es war durch hartes Tragen während der letzten Wochen derartig versifft, dass er darin schwerlich hätte gesellschaftsfähig sein können. Punkt akzeptiert, immerhin trug Max eins. Also ans Organisatorische. Johanna sollte anfangen, dann unser anonymisierter Gast, dann ich, dann Johanna. Daniel wollte moderieren, Johanna war für mich, ich moderierte an um zwanzig nach Sieben. Die Bar nun schon etwas gefüllter, gute Mischung aus vage bekannten und unbekannten Gesichtern. Die beiden Amerikanerinnen, die Bob und ich montags in einer Bar kennen gelernt hatten, waren ebenfalls gekommen. Einer davon, Hannah, hatte ich ein Exemplar von „Walter X“ verkauft, es angepriesen als pädagogisch wertvoll und bestens zum Lernen von Deutsch geeignet. Bob war nicht erschienen und Jonas filmte mit einer kleinen Videokamera von der Seite.
Ich holte das Stückchen eingeredete Authorität, das mir durch das Fehlen eines Mikrofons abhanden gekommen war, zurück, indem ich die Unterhaltung zweier Damen im hinteren Barbereich harsch unterbrach, dann begann Johanna den wichtigen Teil des Abends und las „Invalid Love“ vor. Ich musste austreten. Als ich zurückkehrte, war sie mit ihrem Text fertig und die beiden Amerikanerinnen waren verschwunden, mussten laut Daniel in ein Seminar. Hannah hatte mir die 10 EUR hinterlegt und Nico kam kurze Zeit später aus seinem Seminar. Der Gast war an der Reihe und las ein Dutzend Gedichte vor. Sein kerniger Bitburger Dialekt gab dem ganzen eine spezielle Note und der abschließende Aufsatz über das Nichtentstehen eines Liebesgedichts unterhielt das Publikum gut.
Dann war es an der Zeit für mich und den Roman. Ich hatte aus der Lesung in Speyer gelernt und beschränkte mich drauf, den Schluss des ersten Tages, sowie lediglich die Pferderennbahnszene zu lesen. Vor der epischen Tanzszene legte ich noch einmal eine kurze Pause ein und Usama legte ein wenig Musik auf. Der Herr mit grauen Haaren näherte sich Johanna und versicherte zuerst, kein Literaturagent zu sein, bevor er erst ihr, dann mir Lob für unser Schreiben aussprach und sich entschuldigte, da er seinen Bus bekommen müsse und gerne ein anderes Mal noch ein Buch kaufe. Wie ich später erfuhr, war er Dozent für Geschichtswissenschaften, also durchaus jemand, auf dessen Meinung man Wert legen konnte. Aber vorerst ging es weiter mit dem Roman, der Kampf zwischen dem tanzenden Indianer und Eugen Borsz nahm sich spektakulär aus wie eh und je und es gab ein wenig Applaus. Dann schickte sich Johanna an, das Schicksal von „Marqueta Starkblanket“ und auch den Abend zu Ende zu führen. Um halb Zehn war dann Schluss. Ich sprach noch ein paar Worte des Dankes in Richtung Wirt und Bar, dann gönnte ich mir ein Feierabendbier und gesellte mich zu der sich zerstreuenden Zuhörerschaft.
Usama kaufte das erste Buch und gab mir 20 EUR. Nachdem ich zum dritten Mal versucht hatte, ihm die Hälfte davon zurück zu geben, wirkte er persönlich beleidigt und als ich gegen Ende des Abends meine vier großen Bier und den Sambuca bezahlen wollte, gab er mir eine Ohrfeige und meinte, es sei gut. Dann kam Bob, stand alleine um halb Elf nur mit einem Hemd, einer Flasche Whiskycola und ohne Plan oder Zeitgefühl in der Altstadt herum, führte schließlich den Absturz des Gastes und mir in zwielichtige Wirtshäuser herbei. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und als Bonus noch zwei Fotos der Dinge, die da kommen sollten:
Shoutouts gehen raus an
Usama und die Orange-Bar für die Möglichkeit,
an Johanna und den Gast für die Beiträge,
an die Brot&Kunst-Entourage für den Support,
an jeden, der sich Zeit genommen hat zu kommen und zu hören
und an Bob, wie auch die Assel.
Sehr schön geschrieben! Besonders gefällt mir natürlich das "Danke Bob!"-Bild :-) Das nächste Buch sollte derart illustriert werden! LG Aline :-)
AntwortenLöschenExzellent geschrieben! Wer ist der ominöse Gast? Und gibt’s schon die andere Geschichte?
AntwortenLöschen@ Aline: Danke. Über das Illustrieren von Büchern habe ich mir auch schon Gedanken macht. Vielleicht können wir ja kooperieren!
AntwortenLöschen@ Anonym: Der Gast bleibt bis auf Weiteres anonym, aber es werden schon bald Texte von ihm zu lesen sein. Die andere Geschichte, nehme an es geht um "Marguetas Starblanket", stellen wir die Woche noch hier rein.
Natürlich heißen Geschichte wie auch der Tanzende Indianer "Marqueta Starblanket". Don't get it twisted..
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