Hoffe die Lesbarkeit leidet nicht unter dem Medium hier. Ein Cover gibt es auch:
Und wer mag kann sich die Story auch anhören, gelesen von mir bei einem Dichterwettstreit in Speyer. Den Link gibt es HIER.
Einmal hatte ich einen merkwürdigen Traum. Zuerst war mir nicht bewusst dass ich träume, ich wähnte mich lediglich in einer intensiven Erinnerung gefangen.
Ich stand in einer dunklen Stadt. Der kalte Mond brannte bleich vom Himmel und die Straßen waren leer, wenn auch mir wohl bekannt. Die dunklen Glaswände der Läden und die Fassaden der Häuser schon fast gänzlich gestrichen mit flüchtigen Gedanken und Gefühlen, die ich auf ungezählten Gängen dort hinterlassen hatte. Die Leben in den Erdgeschossfenstern schon so vertraut als seien sie mein Eigenes und hinter den oberen Scheiben mit ihren Deckenleuchten, Bildhälften und Wandschrankecken steckten unzählige Variationen meiner eigenen Existenz. Erträumt, gelebt, verlassen. Die Straßen wie ausgestorben, stehende Autos und die einzig Lebenden nur ein Rauschen in der Ferne. Dann ein paar Zeitungsseiten, szenisch über den Asphalt rollend, getrieben von einem kühlen Wind.
Ich ging zu einer Straßenlampe in der Mitte einer kleinen Kreuzung und hatte das Bedürfnis mein Mobiltelefon aus der Tasche zu holen. Die Lampe hing am Schnittpunkt zweier Drahtseile und schien gelblich auf mich herab. Eines der Seile ankerte an einem Eckbalkon über der Straße mit säulenverzierter verwitterter Brüstung. Das Telefon zeigte mir kurz vor Ein Uhr an und wirkte sehr detailgetreu, ich verirrte mich sogar einmal in den Menüs. Als ich jedoch die neue Nachricht lesen wollte, da verriet sich der Traum. Es erschien mir von ungemeiner Wichtigkeit diese Nachricht zu lesen und als ich sie öffnen wollte zeigte man mir nur sinnentleerte Zeichen, Wörter ohne Bedeutung. Wie ich den Bildschirm auch drehte und wendete, ich konnte den Inhalt nicht verstehen.
Mein erster Gedanke war Hilfe zu holen, so stark wirkte diese Ohnmacht auf mich. Aber es gab auf der Straße niemanden sonst, sogar die wenigen Kneipen die ich passiert hatte waren tot. Ein Zeitungsblatt rollte vorbei, es verfing sich am Pfahl der Laterne und ein von Schock verzerrtes Frauengesicht blickte mir entgegen. Ich versuchte die riesige rote Blockschrift darunter zu lesen und scheiterte. Es trieb mich weg von der unbekannten Schreckensmeldung, eine der leeren Straßen hinunter.
Als ich dann zurückblickte, da entdeckte ich ihn. Er war nicht mehr als ein Umriss, ein sich kaum merklich von der Dunkelheit abhebender Schatten der mitten auf der Straße lief, als wolle er das Licht der wenigen Lampen meiden. Ich erkannte auf die Entfernung nicht viel, nur dass der Mann zu gehen schien und einen langen Mantel trug. Auch konnte ich nicht ausmachen ob er auf mich zukam oder von mir weglief, die schwarze Figur ließ weder Vorder- noch Rückseite erkennen.
Ich beschloss mich von ihm wegzubewegen und lief unter den vereinzelten Laternen den Gehweg hinunter. Einmal drehte ich mich um und die Figur war größer geworden, ich versuchte es mir auszureden aber konnte es nicht leugnen. Die Stille war fast vollkommen, nur das Geräusch meiner Schritte und das vereinzelte Rauschen von Autos in unerreichbaren Nebenstraßen. Ich hoffte jedes mal dass eines der Fahrzeuge meine Straße hinunterkommen möge, schon alleine um sie zu erleuchten und den Mann hinter mir von der Fahrbahn zu drängen.
Die Straße brachte mich schließlich zu einem kleinen Marktplatz mit steinernem Brunnen, umringt von hohen Bäumen, begrenzt von Geschäftshäusern und mit kleinen Gassen an jeder Ecke. Das Gluckern des einsamen Springbrunnens vermischte sich mit dem verhaltenen Rauschen der Blätter zu einem einzelnen andauernden Geräusch während ich den regennassen Pflasterboden überquerte. Als ich zurück sah betrat er gerade den Platz von der anderen Seite und als er meiner Gewahr wurde, da zögerte er und blieb stehen. Etwas an diesem Zögern erschien mir menschlich und ich beschloss ihm zu begegnen.
Unter einer der wenigen Laternen zwischen den Bäumen wartete ich und nach einer Weile kam er auch. Sein schwarzer Mantel war geöffnet und weit geschnitten, unmodisch aber im Einklang mit dem Schnitt seiner ebenfalls schwarzen Hosen und dem restlichen Anzug, einem weißen Hemd und einer dunklen Samtweste. Er war mäßigen Wuchses und mittleren Alters. Halblanges wirres pechschwarzes Haar und tiefliegende dunkle Augen, die lange Nase ein wenig zu spitz für das ansonsten sehr weiche Gesicht mit den leicht abstehenden Ohren.
Ich grüßte ihn und fragte zaghaft wer er sei und warum er mir folge. Er erwiderte leise meinen Gruß und sagte sein Name sei Franz. Er gehe gerade spazieren, da ihm das Freude wie auch Zerstreuung bringe. Er fragte ob ich ihn nicht begleiten möchte, um die Ecke sei eine Bar in der man auch um diese Stunde noch ein Gläschen bekomme.
Dieser Vortrag hatte etwas einnehmendes und ich akzeptierte. Er schritt zielstrebig die Gasse hinunter die ich auch zuerst angesteuert hatte und nach einer Biegung fanden wir uns vor einer erleuchteten Bar wieder. Ich konnte den Namen nicht ausmachen und mein Begleiter betrat den überdachten Vorraum in welchem eine Tür zur Linken den Barraum auswies und eine geöffnete Tür zur Rechten eine steile, spärlich beleuchtete Kellertreppe offenbarte. Sie hatte etwas anziehendes und ich wollte gerade hinuntergehen, als er sich zu mir um wandte und mich sanft von der Treppe wegzog. Er merkte an, dass dort unten-
»der Lump dem Trunkenbold zum Tanz«
-begegne und wir oben besser aufgehoben seien. Als wir durch die gläserne Eingangstür in den ebenerdigen Barraum traten erzählte er gerade, dass es hier den besten Gin Tonic der Stadt gebe-
-begegne und wir oben besser aufgehoben seien. Als wir durch die gläserne Eingangstür in den ebenerdigen Barraum traten erzählte er gerade, dass es hier den besten Gin Tonic der Stadt gebe-
»ein gleiches Verhältnis von Schnaps und Limo, da bekommt der Mensch noch etwas für sein
Geld geboten«
-und alsdann bestellte er zwei davon bei dem gelangweilt hinter dem Tresen lehnenden Wirt, der sich ewig Zeit ließ obwohl wir die einzigen Gäste waren und uns nach langem Suchen die Getränke missmutig an den Tisch brachte.
Er wollte gleich abkassieren und ich wusste nicht einmal ob ich Geld einstecken hatte, verließ mich auf meinen quasi Gastgeber, der dem Wirt wortreich erklärte, dass er die Rechnung später begleichen werde und ihm versicherte, dass er-
»doch kein Lump, dem es einfällt die Zeche zu prellen«
-sei, sondern ein ehrenwerter Bürger. Nachdem sich der Wirt entfernt hatte, prostete er mir still zu und ich nahm ein paar Schlücke des hart nach Alkohol schmeckenden Getränks. Wir lauschten eine Weile dem Gedudel der Gitarren im Hintergrund, bis er es schließlich durchbrach und mich in ein Gespräch verwickelte.
Er fragte mich warum ich hier sei und ich entgegnete ihm, dass ich es nicht wisse, woraufhin er wissen wollte wie sich das denn so verhalten könne und ich noch einmal betonte, dass sich mir die Gründe meiner Anwesenheit hier noch nicht erschlossen hätten, sich das alles für mich wie ein recht merkwürdiger Traum ausnahm und er setzte sein Glas ab, sah mich an-
»Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen«
-trank weiter während ich über den Sinn dieser Worte grübelte und mich fragte was passiert wäre wenn ich ihm nicht begegnet, einfach weiter geflohen wäre und schließlich wurde diesen Gedanken durch das Auftreten eines alten Mannes ein Ende gesetzt, er hatte sorgsam die Tür hinter sich geschlossen und wirkte in seinem Erscheinen ebenfalls der Gegenwart entrückt, trug farbenfrohe Tracht und einen schütteren Ziegenbart, wässrige Augen die von einer massiven Denkerstirn überschattet wurden, dahinter dann rot-graues Haar von der gleichen Farbe wie der Bart, welcher leicht zu wehen schien während er an unserem Tisch vorbei lief.
Dann war ich in der siffigen Toilette und hatte nach Benutzung des Urinbeckens ein dringendes Bedürfnis mich am ganzen Körper zu waschen, stand vor dem fleckigen Spiegel im Vorraum neben dem alten Mann und musste ihn wohl am Bart gezogen haben, denn er schrie mich an was mir denn einfalle so etwas zu tun und steigerte sich in eine kehlige Rage hinein so dass mir war als müsse er mich gleich anfallen, bis mein Begleiter aus einer der Toilettenkabinen auftauchte und beschwichtigende Worte für den Alten fand.
Die ganze Szene bekam etwas Surreales, zumal die Beschwichtigungen einer Lobhudelei gewichen waren, mein Begleiter dem Alten versicherte, dass er ein großer Bewunderer von dessen Schriftkunst sei-
»DER IDIOT ist eines meiner liebsten Werke der modernen Literatur, wie habe ich mit Fürst
Myschkin gelitten«
-wovon der sichtlich unter der Situation leidende Alte nichts wissen wollte, sich heftig gestikulierend wehrte und schließlich fluchtartig mit gelenksteifen Schritten die Toilette verließ.
Daraufhin gingen wir eine Runde an dem weinroten Kicker im Nebenraum spielen. Er war ein miserabler Spieler. Seiner Ungeduld versuchte er durch wildes Kurbeln Herr zu werden und seinen Missmut äußerte er durch heftiges Wackeln am Tisch, bis ich ihn schließlich ermahnen musste die Getränke nicht zu verschütten. Ich ließ ihn zweimal gewinnen und wir gingen zurück in den Barraum. Er trank sein Glas aus, bestellte noch ein Weiteres und nahm die Unterhaltung wieder auf.
Er redete lange über die Größe des russischen Dichtertums und die Tragik dieser Nation und ich versuchte der Musik zu lauschen, wurde aber sofort wieder in das einseitige Gespräch gezogen als er mit donnernder Faust die Tischplatte schlug-
»Der entscheidende Augenblick der menschlichen Entwicklung ist immerwährend. Darum sind die
revolutionären geistigen Bewegungen, welche alles frühere für nichtig erklären, im Recht, denn es ist noch
nichts geschehn«
-und ich hatte es satt nur zuzuhören und fragte forsch was er damit meine, ob er etwa die großen Taten der Vergangenheit verneinen möchte oder ob er damit einer von den Religionen des Osten geprägten Weltanschauung Ausdruck verleihen wolle und er lächelte mich nur lange verschlagen über sein Glas hinweg an, meinte schließlich, Kerouac habe mit seinem Lebensentwurf gar nicht so unrecht gehabt, letztlich gehe es doch wirklich nur darum sein Glas immer gefüllt zu haben.
Damit einhergehend kippte er den Rest meines Gin Tonic in sein Glas, hatte damit wieder ein fast neues Getränk, sah mich spöttisch an und bemerkte trockenen Tones-
»Lächerlich hast Du Dich aufgeschirrt für diese Welt«
-und ich fragte ihn für wen er sich denn halte da er sich hier anmaße ihm fremde Leute zu belehren und er entgegnete, dass er Franz Kafka sei, woraufhin ich ihm ins Gesicht lachte und er aufstand, sich zur Toilette entschuldigte und danach nicht mehr wieder kam.
Ich wartete noch eine halbe Stunde und trank derweil den Rest seines Getränkes aus. Es war ein starker Mix, darin hatte er nicht gelogen. Als es hinter dem Glas der Straßenfenster anfing zu dämmern, fragte ich mich wo die Zeit hin war und ein stämmiger Mann tauchte an meinem Tisch auf und wollte mich abkassieren, meinte es sei gleich Sechs Uhr und die Bar schließe nun.
Ich konnte nicht einmal einen Geldbeutel finden und erklärte ihm, dass mein Begleiter verschwunden sei, doch er hörte mir gar nicht erst zu und zog mich heftig am Arm empor. Ich wollte mich losreißen und wir zerrten ein paar Sekunden lang am Ärmel meiner Jacke. Schließlich entglitt er seinem Griff und ich drehte mich im Stolpern zur Tür, bekam sie nicht gleich auf und entwischte kurz vor ihm.
Ich sah die dämmernde Straße schon vor mir, doch der dicke Wirt stellte mir ein Bein und ich schlug heftig auf den Gehsteig. Als ich mich aufrichten wollte trat er mir von oben in den Leib und es warf mich auf den Rücken. Ich blickte in den aufkommenden Tag empor und zwang mich aufzuwachen während er mir die rechte Hand zertrat.
Die Schmerzen wichen einem Taubheitsgefühl und ein Fenster begrenzte den Wolkenhimmel. Ich lag in meinem Zimmer im neunten Stock und draußen begannen die Bauarbeiter gerade ihr Tageswerk.
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