Sonntag, 5. Dezember 2010

Florian Arleth - Der Traum eines merkwürdigen Jungen (Erzählung)

Anbei eine kleine Erzählung die ich Anfang November einem Freund zum Geburtstag geschrieben habe.
Hoffe die Lesbarkeit leidet nicht unter dem Medium hier. Ein Cover gibt es auch:
Und wer mag kann sich die Story auch anhören, gelesen von mir bei einem Dichterwettstreit in Speyer. Den Link gibt es HIER.

                                                                                                                                                                

Einmal hatte ich einen merkwürdigen Traum. Zu­erst war mir nicht bewusst dass ich träume, ich wähnte mich lediglich in einer intensiven Erinne­rung gefangen.

Ich stand in einer dunklen Stadt. Der kalte Mond brannte bleich vom Himmel und die Straßen waren leer, wenn auch mir wohl bekannt. Die dunklen Glaswände der Läden und die Fassaden der Häuser schon fast gänzlich gestrichen mit flüchtigen Ge­danken und Gefühlen, die ich auf ungezählten Gän­gen dort hinterlassen hatte. Die Leben in den Erd­geschossfenstern schon so vertraut als seien sie mein Eigenes und hinter den oberen Scheiben mit ihren Deckenleuchten, Bildhälften und Wand­schrankecken steckten unzählige Variationen mei­ner eigenen Existenz. Erträumt, gelebt, verlassen. Die Straßen wie ausgestorben, stehende Autos und die einzig Lebenden nur ein Rauschen in der Ferne. Dann ein paar Zeitungsseiten, szenisch über den Asphalt rollend, getrieben von einem kühlen Wind.

Ich ging zu einer Straßenlampe in der Mitte einer kleinen Kreuzung und hatte das Bedürfnis mein Mobiltelefon aus der Tasche zu holen. Die Lampe hing am Schnittpunkt zweier Drahtseile und schien gelblich auf mich herab. Eines der Seile ankerte an einem Eckbalkon über der Straße mit säulenver­zierter verwitterter Brüstung. Das Telefon zeigte mir kurz vor Ein Uhr an und wirkte sehr detailge­treu, ich verirrte mich sogar einmal in den Menüs. Als ich jedoch die neue Nachricht lesen wollte, da verriet sich der Traum. Es erschien mir von unge­meiner Wichtigkeit diese Nachricht zu lesen und als ich sie öffnen wollte zeigte man mir nur sinnentleerte Zeichen, Wörter ohne Bedeutung. Wie ich den Bildschirm auch drehte und wendete, ich konnte den Inhalt nicht verstehen.

Mein erster Gedanke war Hilfe zu holen, so stark wirkte diese Ohnmacht auf mich. Aber es gab auf der Straße niemanden sonst, sogar die wenigen Kneipen die ich passiert hatte waren tot. Ein Zei­tungsblatt rollte vorbei, es verfing sich am Pfahl der Laterne und ein von Schock verzerrtes Frauenge­sicht blickte mir entgegen. Ich versuchte die riesige rote Blockschrift darunter zu lesen und scheiterte. Es trieb mich weg von der unbekannten Schre­ckensmeldung, eine der leeren Straßen hinunter.

Als ich dann zurückblickte, da entdeckte ich ihn. Er war nicht mehr als ein Umriss, ein sich kaum merk­lich von der Dunkelheit abhebender Schatten der mitten auf der Straße lief, als wolle er das Licht der wenigen Lampen meiden. Ich erkannte auf die Ent­fernung nicht viel, nur dass der Mann zu gehen schien und einen langen Mantel trug. Auch konnte ich nicht ausmachen ob er auf mich zukam oder von mir weglief, die schwarze Figur ließ weder Vorder- noch Rückseite erkennen.

Ich beschloss mich von ihm wegzubewegen und lief unter den vereinzelten Laternen den Geh­weg hinunter. Einmal drehte ich mich um und die Figur war größer geworden, ich versuchte es mir auszureden aber konnte es nicht leugnen. Die Stille war fast vollkommen, nur das Geräusch meiner Schritte und das vereinzelte Rauschen von Autos in unerreichbaren Nebenstraßen. Ich hoffte jedes mal dass eines der Fahrzeuge meine Straße hinunter­kommen möge, schon alleine um sie zu erleuchten und den Mann hinter mir von der Fahrbahn zu drängen.

Die Straße brachte mich schließlich zu einem klei­nen Marktplatz mit steinernem Brunnen, umringt von hohen Bäumen, begrenzt von Geschäftshäusern und mit kleinen Gassen an jeder Ecke. Das Gluckern des einsamen Springbrunnens ver­mischte sich mit dem verhaltenen Rauschen der Blätter zu einem einzelnen andauernden Geräusch während ich den regennassen Pflasterboden überquerte. Als ich zurück sah betrat er gerade den Platz von der anderen Sei­te und als er meiner Gewahr wurde, da zögerte er und blieb stehen. Etwas an diesem Zögern erschien mir menschlich und ich beschloss ihm zu begegnen.

Unter einer der wenigen Laternen zwischen den Bäumen wartete ich und nach einer Weile kam er auch. Sein schwarzer Mantel war geöffnet und weit geschnitten, unmodisch aber im Einklang mit dem Schnitt seiner ebenfalls schwarzen Hosen und dem restlichen Anzug, einem weißen Hemd und ei­ner dunklen Samtweste. Er war mäßigen Wuchses und mittleren Alters. Halblanges wirres pech­schwarzes Haar und tiefliegende dunkle Augen, die lange Nase ein wenig zu spitz für das ansonsten sehr weiche Gesicht mit den leicht abstehenden Ohren.

Ich grüßte ihn und fragte zaghaft wer er sei und warum er mir folge. Er erwiderte leise meinen Gruß und sagte sein Name sei Franz. Er gehe gera­de spazieren, da ihm das Freude wie auch Zerstreu­ung bringe. Er fragte ob ich ihn nicht begleiten möchte, um die Ecke sei eine Bar in der man auch um diese Stunde noch ein Gläschen bekomme.

Dieser Vortrag hatte etwas einnehmendes und ich akzeptierte. Er schritt zielstrebig die Gasse hinunter die ich auch zuerst angesteuert hatte und nach einer Biegung fanden wir uns vor einer erleuchteten Bar wieder. Ich konnte den Namen nicht ausmachen und mein Begleiter betrat den überdachten Vorraum in welchem eine Tür zur Linken den Barraum aus­wies und eine geöffnete Tür zur Rechten eine steile, spärlich beleuchtete Kellertreppe offenbarte. Sie hatte etwas anziehendes und ich wollte gerade hin­untergehen, als er sich zu mir um wandte und mich sanft von der Treppe wegzog. Er merkte an, dass dort unten-
    »der Lump dem Trunkenbold zum Tanz«
-begegne und wir oben besser aufgehoben seien. Als wir durch die gläserne Eingangstür in den ebenerdigen Barraum traten erzählte er gerade, dass es hier den besten Gin Tonic der Stadt gebe-
    »ein gleiches Verhältnis von Schnaps und Limo, da bekommt der Mensch noch etwas für sein
      Geld geboten«
-und alsdann bestellte er zwei davon bei dem ge­langweilt hinter dem Tresen lehnenden Wirt, der sich ewig Zeit ließ obwohl wir die einzigen Gäste waren und uns nach langem Suchen die Getränke missmutig an den Tisch brachte. 
 
Er wollte gleich abkassieren und ich wusste nicht einmal ob ich Geld einstecken hatte, verließ mich auf meinen quasi Gastgeber, der dem Wirt wort­reich erklärte, dass er die Rechnung später beglei­chen werde und ihm versicherte, dass er-
     »doch kein Lump, dem es einfällt die Zeche zu prellen«
-sei, sondern ein ehrenwerter Bürger. Nachdem sich der Wirt entfernt hatte, prostete er mir still zu und ich nahm ein paar Schlücke des hart nach Alkohol schmeckenden Getränks. Wir lauschten eine Weile dem Gedudel der Gitarren im Hintergrund, bis er es schließlich durchbrach und mich in ein Gespräch verwickelte.

Er fragte mich warum ich hier sei und ich entgeg­nete ihm, dass ich es nicht wisse, woraufhin er wis­sen wollte wie sich das denn so verhalten könne und ich noch einmal betonte, dass sich mir die Gründe meiner Anwesenheit hier noch nicht er­schlossen hätten, sich das alles für mich wie ein recht merkwürdiger Traum ausnahm und er setzte sein Glas ab, sah mich an-
     »Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen«
-trank weiter während ich über den Sinn dieser Worte grübelte und mich fragte was passiert wäre wenn ich ihm nicht begegnet, einfach weiter geflo­hen wäre und schließlich wurde diesen Gedanken durch das Auftreten eines alten Mannes ein Ende gesetzt, er hatte sorgsam die Tür hinter sich ge­schlossen und wirkte in seinem Erscheinen eben­falls der Gegenwart entrückt, trug farbenfrohe Tracht und einen schütteren Ziegenbart, wässrige Augen die von einer massiven Denkerstirn über­schattet wurden, dahinter dann rot-graues Haar von der gleichen Farbe wie der Bart, welcher leicht zu wehen schien während er an unserem Tisch vorbei lief.

Dann war ich in der siffigen Toilette und hatte nach Benutzung des Urinbeckens ein dringendes Bedürf­nis mich am ganzen Körper zu waschen, stand vor dem fleckigen Spiegel im Vorraum neben dem alten Mann und musste ihn wohl am Bart gezogen ha­ben, denn er schrie mich an was mir denn einfalle so etwas zu tun und steigerte sich in eine kehlige Rage hinein so dass mir war als müsse er mich gleich anfallen, bis mein Begleiter aus einer der Toilettenkabinen auftauchte und beschwichtigende Worte für den Alten fand.

Die ganze Szene bekam etwas Surreales, zumal die Beschwichtigungen einer Lobhudelei gewichen waren, mein Begleiter dem Alten versicherte, dass er ein großer Bewunderer von dessen Schriftkunst sei-
     »DER IDIOT ist eines meiner liebsten Werke der modernen Literatur, wie habe ich mit Fürst
      Myschkin gelitten«
-wovon der sichtlich unter der Situation leidende Alte nichts wissen wollte, sich heftig gestikulierend wehrte und schließlich fluchtartig mit gelenksteifen Schritten die Toilette verließ.

Daraufhin gingen wir eine Runde an dem weinro­ten Kicker im Nebenraum spielen. Er war ein mise­rabler Spieler. Seiner Ungeduld versuchte er durch wildes Kurbeln Herr zu werden und seinen Miss­mut äußerte er durch heftiges Wackeln am Tisch, bis ich ihn schließlich ermahnen musste die Geträn­ke nicht zu verschütten. Ich ließ ihn zweimal ge­winnen und wir gingen zurück in den Barraum. Er trank sein Glas aus, bestellte noch ein Weiteres und nahm die Unterhaltung wieder auf.

Er redete lange über die Größe des russischen Dichtertums und die Tragik dieser Nation und ich versuchte der Musik zu lauschen, wurde aber sofort wieder in das einseitige Gespräch gezogen als er mit donnernder Faust die Tischplatte schlug-
     »Der entscheidende Augenblick der menschlichen Entwicklung ist immerwährend. Darum sind die 
     revolutionären geistigen Bewegungen, welche alles frühere für nichtig erklären, im Recht, denn es ist noch 
     nichts geschehn«
-und ich hatte es satt nur zuzuhören und fragte forsch was er damit meine, ob er etwa die großen Taten der Vergangenheit verneinen möchte oder ob er damit einer von den Religionen des Osten ge­prägten Weltanschauung Ausdruck verleihen wolle und er lächelte mich nur lange verschlagen über sein Glas hinweg an, meinte schließlich, Kerouac habe mit seinem Lebensentwurf gar nicht so unrecht gehabt, letztlich gehe es doch wirklich nur darum sein Glas immer gefüllt zu haben.

Damit einhergehend kippte er den Rest meines Gin Tonic in sein Glas, hatte damit wieder ein fast neu­es Getränk, sah mich spöttisch an und bemerkte trockenen Tones-
     »Lächerlich hast Du Dich aufgeschirrt für diese Welt«
-und ich fragte ihn für wen er sich denn halte da er sich hier anmaße ihm fremde Leute zu belehren und er entgegnete, dass er Franz Kafka sei, worauf­hin ich ihm ins Gesicht lachte und er aufstand, sich zur Toilette entschuldigte und danach nicht mehr wieder kam.

Ich wartete noch eine halbe Stunde und trank der­weil den Rest seines Getränkes aus. Es war ein star­ker Mix, darin hatte er nicht gelogen. Als es hinter dem Glas der Straßenfenster anfing zu dämmern, fragte ich mich wo die Zeit hin war und ein stämmiger Mann tauchte an meinem Tisch auf und wollte mich abkassieren, meinte es sei gleich Sechs Uhr und die Bar schließe nun.

Ich konnte nicht einmal einen Geldbeutel finden und erklärte ihm, dass mein Begleiter verschwun­den sei, doch er hörte mir gar nicht erst zu und zog mich heftig am Arm empor. Ich wollte mich losrei­ßen und wir zerrten ein paar Sekunden lang am Är­mel meiner Jacke. Schließlich entglitt er seinem Griff und ich drehte mich im Stolpern zur Tür, be­kam sie nicht gleich auf und entwischte kurz vor ihm.

Ich sah die dämmernde Straße schon vor mir, doch der dicke Wirt stellte mir ein Bein und ich schlug heftig auf den Gehsteig. Als ich mich aufrichten wollte trat er mir von oben in den Leib und es warf mich auf den Rücken. Ich blickte in den aufkom­menden Tag empor und zwang mich aufzuwachen während er mir die rechte Hand zertrat.

Die Schmerzen wichen einem Taubheitsgefühl und ein Fenster begrenzte den Wolkenhimmel. Ich lag in meinem Zimmer im neunten Stock und draußen begannen die Bauarbeiter gerade ihr Tageswerk.

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